Nachfolge neu gedacht
In Familienunternehmen wird das Thema Nachfolge manchmal früher zum Gesprächsthema, als man denkt. Daniela Bechtolds achtjähriger Sohn stellte ihr neulich die Frage: „Darf ich später Fußballstar werden?“ Er fügte aber gleich nachdenklich hinzu: „Aber wenn ich Fußballstar bin, kann ich kein big-Chef sein.“ Fußballstar wollte die geschäftsführende Gesellschafterin der big. bechtold-gruppe und IHK-Vizepräsidentin selbst in ihrer Jugend nicht werden, aber vielleicht Musikerin oder Architektin, wie sie in einem beeindruckend ehrlichen und spannenden Vortrag bei den Frauenwirtschaftstagen in der Max-Grundig-Klinik in Bühl berichtete. Letztlich entschied sich Bechtold für ein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens und hielt sich damit alle Wege offen. „Ich brenne für das Thema Logistik“, erklärt die big-Chefin.
Trotzdem war der Weg in die elterliche Ingenieurgesellschaft keinesfalls vorprogrammiert. Bechtold hat zwar in die heutige big. bechtold-gruppe hineingeschnuppert, die inzwischen alle Dienstleistungen rund um das Gebäude anbietet (Planung, Facility Management, Sicherheit etc.), hat aber auch während des Studiums bei Siemens gearbeitet und war im Ausland, in den USA, in China und Spanien. Schließlich fand sie bei der renommierten Unternehmensberatung Ernst & Young in der Logistikberatung ihre erste Festanstellung.
Dann passierten zwei Dinge: Es gab einen äußeren und einen inneren Anstoß, die Weichen neu zu stellen. Ihr Vater, Bernd Bechtold, machte der damals 29-jährigen Daniela ein Angebot: „Du musst nicht, aber du kannst, und wenn, dann jetzt.“ In so jungen Jahren ein Unternehmen mit 85 Millionen Euro Umsatz und 2.000 Mitarbeitenden zu führen, ist keine leichte Aufgabe. Als sie nach einer Bedenkzeit bei einer Firmenfeier an der langen Tafel mit den Mitarbeitenden saß und ihr Vater eine sehr emotionale Rede hielt, war ihr auch im Inneren klar, dass sie der Glamourwelt der Unternehmensberatung den Rücken kehren möchte. „Ich wusste damals, hier bei big werde ich geschätzt, hier fühle ich mich zu Hause, hier möchte ich mich einbringen.“
Mut machte ihr auch eine ehemalige Professorin, die sie dazu aufrief, sich auf Herz und Nieren zu prüfen und die entscheidenden Zukunftsfragen zu stellen. Zwei Jahre lang arbeitete Daniela Bechtold als geschäftsführende Gesellschafterin noch Seite an Seite mit ihrem Vater. Während dieser Zeit gründete sie die Netzwerk Mensch gGmbH, die sich auf das Einrichten und Betreiben von Kindertageseinrichtungen (Kita) spezialisiert hat, eine Herzensangelegenheit der 44-Jährigen. 2009 wurde die erste KITA eröffnet. Dem Unternehmen selbst verlieh Bechtold, nachdem sie schließlich Büro, E-Mail und Parkplatz mit ihrem Vater getauscht hatte, ihre ganz eigene Handschrift. So sehr sie die big. bechtold-gruppe auch als ihre Familie ansieht, forderte mit der Geburt ihres Sohnes ein anderes Familienmitglied ihre Aufmerksamkeit. „Ich musste erst lernen, dass es auch in Ordnung ist, an einigen Tagen früher nach Hause zu gehen und mich um meinen Sohn zu kümmern“, gesteht sie. Ganz wichtig ist Bechtold, dass dem heute Achtjährigen später alle Türen offenstehen. „Sollte er wirklich Fußballstar werden, finden wir eine andere Lösung für die Zukunft des Unternehmens“, ist sie sich sicher.
Anderen Übernehmerinnen gibt sie mit auf den Weg: „Bedingt Euch Euren Gestaltungsspielraum aus. Man muss als Übernehmerin Dinge ändern dürfen. Man muss sich auch mal von heiligen Kühen trennen können.“
Bestätigt wurden Bechtolds Aussagen von den Nachfolgeberaterinnen der Handwerkskammer Andrea Winkler und der IHK, Bianca Schmid. Letztere weiß aus ihrer langjährigen Erfahrung als Gründungsberaterin, dass Frauen anders gründen und anders übernehmen. „Sie sind emotionaler und zweifeln viel mehr an sich.“
Auch Susanne Kutterer-Schacht, Rechtsanwältin, Mediatorin, Coach und Geschäftsführerin der Continuum GmbH, Karlsruhe, konnte von vielen Parallelen zur eigenen Übernahme als Frau berichten. Sie empfahl dringend, sich externe Hilfe zu holen. Inzwischen hat sie ihr Unternehmen selbst übergeben, allerdings in fremde Hände. Diana Friedl, Digitalisierungsberaterin bei der Handwerkskammer, stellte noch eine neue Rahmenbedingung in den Raum: Die Zukunft gehört der KI. Man und vor allem auch Frau sollte keine Berührungsängste davor haben.
Die Veranstaltung wurde organisiert und moderiert von den Gleichstellungsbeauftragten Baden-Baden, Rastatt und Bühl, Yvonne Junger, Kerstin Ganz und Bettina Fröhlich und von der Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt der Agentur für Arbeit, Patricia Montbrun. Im Organisationsteam waren außerdem die Wirtschaftsförderung der Stadt Bühl, die Handwerkskammer und die IHK.
Interessante Einblicke haben die Teilnehmerinnen bei der Veranstaltung in der Max-Grundig-Klinik im Rahmen der Frauenwirtschaftstage erhalten.
Fotos: IHK / Claudia Nehm; Gruppenfoto: Stadt Bühl / Simon Früh